Wie geht Aufräumen im All?
Von Ulrike Krings Rocha
Links der Turnschuh, in der Ecke ein Pulli. Unterm Tisch das Schulheft, Eselsohren kringeln sich. Kekskrümel feiern Party auf dem Teppich und Lieblingsbuch trifft Kaugummi?
So war das früher in meinem Zimmer. Manchmal. Da hilft nur eins: Ordnung schaffen! Neulich (beim Saubermachen) hab ich mich gefragt: Wie geht Aufräumen eigentlich im All?
„Aufräumen und Ordnung halten funktioniert auf der ISS ganz anders als auf der Erde“

Lothar Mies klärt uns im Video Call auf. Er arbeitet im Europäischen Astronautenzentrum und kennt die ISS so gut wie seine Westentasche. Lothar arbeitet als Ingenieur (sprich „Indschinjör“) im medizinischen Team der ESA (englische Abkürzung für European Space Agency). Dieses Team ist für Gesundheit und Wohlbefinden der Astronauten zuständig. Lothar schaut sich zum Beispiel Untersuchungsberichte der Belastung durch Mikroorganismen an und informiert das Ärzteteam darüber. Luft und Trinkwasser dürfen nicht zu stark mit Mikroorganismen belastet sein, da Menschen davon krank werden können. „Mirkroorganismen“ nennt man kleine Mini-Wesen, die man mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Dies können Bakterien, Viren oder Pilze sein.
Ulrike: Sag mal, Lothar, müssen Astronautinnen und Astronauten auf der ISS auch ihre Zimmer aufräumen?
Lothar: Tja, das Wort „Zimmer“ hat auf der Raumstation eine ganz andere Bedeutung als auf der Erde. Astronauten haben zwar ein eigenes Zimmer, aber das ist winzig. Es ist eng wie in einer Fahrstuhlkabine. Astronauten haben nur wenig Gepäck dabei, wenn sie ins All reisen. Manchmal nehmen sie zum Beispiel Fotos mit oder kleine Maskottchen. Kleidung wird extra mit Versorgungsschiffen an Bord gebracht. Da es auf der ISS keine Waschmaschine gibt, sammeln Menschen auf der ISS benutzte Kleidungsstücke nicht zum Waschen. Getragene Kleidung entsorgen sie in Versorgungskapseln, wenn diese wieder von der Raumstation abdocken. Auf der ISS fällt in der Hinsicht weniger zum Aufräumen an als bei uns auf der Erde. Da auf der Raumstation Schwerelosigkeit herrscht, müssen Astronauten ihre Sachen immer irgendwo befestigen, zum Beispiel mit Klettverschluss oder Gummibändern. Sie können ihre Sachen nicht einfach auf den Tisch legen oder ins Regal räumen, sonst würden sie schweben.

“Auf der ISS gibt´s Aufräumen nach Plan”
Ulrike: Was machen Raumfahrerinnen und Raumfahrer, damit Aufräumen mehr Spaß macht? Hören sie zum Beispiel Musik?
Lothar: Klar dürfen Astronauten Musik hören! Im All geht es aber nicht darum, ob man Lust hat Ordnung zu schaffen oder nicht. Auf der ISS gibt´s Aufräumen nach Plan, das ist ein fester Bestandteil im Arbeitsalltag an Bord. Auf der Raumstation gibt es viele Labore, in denen die Astronauten experimentieren. Dort ist Ordnung extrem wichtig, damit sie alles für die Versuche finden. Sie brauchen Werkzeuge und Messgeräte, die sie in Schränken, den so genannten Racks, verstauen. Oder sie packen die Dinge in Ordnungsboxen und Taschen mit Fächern, die sie verschließen können. Astronauten räumen immer sofort auf, sobald sie eine Sache erledigt haben. Es darf nichts im Weg sein. Ordnung an Bord der Raumstation ist sogar so wichtig, dass es eine eigene Ordnungseinheit am Boden gibt, das Inventory management system. Diese Gruppe schreibt auf, wo sich an Bord welches Teil befindet. Wenn die Astronauten auf der ISS etwas nicht finden, können sie die Ordnungsgruppe am Boden fragen. Im Notfall müssen Astronauten schnell an Feuerlöscher und Atemschutzmasken herankommen. Da dürfen sie nicht lange suchen. Das ist im Weltraum überlebenswichtig.

„Jeden Samstag wird geputzt“
Ulrike: Muss auf der Raumstation auch geputzt werden?
Lothar: Also das Problem, dass man wie auf der Erde mit schmutzigen Schuhen von draußen reinkommt, hat man im All ja nicht. Aber auch eine Raumstation kann verschmutzen. Mikroorganismen kommen überall vor, das ist normal. Aber sie dürfen sich nicht zu sehr ausbreiten. Es passieren manchmal kleinere Unfälle mit Getränken oder mit Essen. Wie man unter Schwerelosigkeit isst und trinkt, müssen Astronauten nämlich erstmal üben. Wenn sie aus Versehen kleckern, können Essensreste oder Flüssigkeiten herumfliegen. Das müssen sie sofort reinigen. Im All gilt: Wenn man´s sieht, ist´s schlimm. Jeden Samstag wird geputzt, da packen alle Astronauten mit an, es gibt auf der ISS einen eigenen Staubsauger. Auch der Kommandant muss dann mal die Toilette putzen, die im All ja ein sehr technisches Gerät ist.

Ulrike: Wo muss man auf der ISS besonders auf Sauberkeit achten?
Lothar: Besonders wichtig sind die Filter der Lüftungen. Die Luft wird auf der ISS ständig umgewälzt, damit sie gut durchmischt ist. Auch Staub muss abgefiltert werden. Diese Filter müssen regelmäßig gereinigt werden, da sie ein Nährboden für Bakterien und Pilze sein können. Auch Oberflächen müssen regelmäßig gesäubert werden, damit sich Mikroorganismen nicht ausbreiten können.

„So schwebte die Tasche davon“
Ulrike: Wir auf der Erde verlieren manchmal Sachen und finden sie an den merkwürdigsten Orten wieder, zum Beispiel die Fernbedienung in der Sofaritze. Wo finden Astronauten Dinge wieder, die sie verloren haben?
Lothar: Für solche Fälle ist das Luftfiltersystem immer ein guter Ort, um etwas wiederzufinden. Da die Luft dort gereinigt und umgewälzt wird, bleiben dort kleine Dinge hängen. Es gibt aber auch Fälle, in denen es schwierig wird: eine Astronautin hat einmal bei einem Weltraumspaziergang ihre Werkzeugtasche verloren. Sie war, warum auch immer, nicht an ihrem Anzug befestigt. In diesem Fall darf man der Tasche nicht hinterherfliegen, weil man sich zu weit von der Station entfernen würde. So schwebte die Tasche davon.
Ulrike: Oh je, die Tasche war also verloren…?
Lothar: … und wurde zu einem Satelliten, ja. (Gelächter vor beiden Bildschirmen)

Ulrike: Lothar, vielen Dank für das Gespräch und die Astronauten-Aufräum-Tipps! Ich denke ich werde mir zuhause auch ein „Inventory management system“ einrichten, für den Fall, dass die Fernbedienung wieder weg ist.
