Abenteuer im All: Der deutsche Astronaut Reinhold Ewald erzählt

Von Ulrike Krings Rocha

Prof. Dr. Reinhold Ewald arbeitete im Jahr 1997 über zwei Wochen lang (18 Tage) auf der russischen Raumstation MIR. Der Name MIR bedeutet „Frieden“ oder „Welt“.

Aktuell ist er Professor für Astronautik und Raumstationen an der Universität Stuttgart.

Die deutschen Astronauten Reinhold Ewald und Klaus-Dietrich Flade 1992 beim MIR-Training, Bild: picture-alliance/RIA Nowosti/DLR

Am 17.05.2019 hielt er für die Volkssternwarte Köln-Sülz einen Vortrag im Physikalischen Institut der Universität Köln. Neben einem Zukunfts-Ausblick zur Raumfahrt zeigte er beeindruckende Bilder von seinen Erlebnissen und der Arbeiten auf der Raumstation MIR.

Die Raumstation MIR mit angedocktem Space Shuttle über der Erde im All, Bild: NASA

Blutabnahme im All

An Bord der MIR führte Reinhold Ewald viele biologische und medizinische Experimente durch. Außerdem erforschte er verschiedene Materialien. Auf einer Raumstation herrscht die ganze Zeit über Schwerelosigkeit, im Gegensatz zu uns auf der Erde, wo wir die Schwerkraft haben.

Reinhold Ewald während der Mission MIR ´97 bei medizinischen Versuchen, Bild: DLR

Auf einer Raumstation ist alles anders als auf unserem Planeten: es gibt unter Schwerelosigkeit kein oben und kein unten, weil alles schwebt, und zwar die ganze Zeit! Aus diesem Grund ist eine Raumstation ein ideales Labor, um wissenschaftliche Forschung zu betreiben, ohne dass die Schwerkraft „dazwischen funkt“. Wissenschaftler betreiben im All die sogenannte Grundlagenforschung: sie schauen zum Beispiel, wie Abläufe im Körper von Tieren und Pflanzen ohne den Einfluss der Schwerkraft funktionieren oder was unterschiedliche Materialien machen, wenn sie den ganzen Tag lang herumschweben. Diese Dinge zu erforschen ist wichtig, um Materialien zu verbessern, z.B. um leichtere Autos oder leichtere Flugzeuge zu bauen, was Energie spart. Die Forschung in den Naturwissenschaften trägt dazu bei, auf der Erde gezielt Medikamente zu entwickeln oder sie zu verbessern.

„Wir hatten beim Start den Helm geschlossen“

Wie geht es einem Astronauten während des Starts in der Rakete und wie lange dauerte die Reise zu einer Raumstation? Diese und andere Fragen beantwortete Herr Ewald nach seinem Vortrag in einem Interview im Hörsaal 2 des Physikalischen Instituts der Universität Köln.

Beim Interview mit Reinhold Ewald, Bild: Karsten Kopp

 „Wie laut ist der Raketenstart, wenn man in der Rakete sitzt“, starte ich das Gespräch. „Beim Start hört man gar nichts,“ antwortet er. Verblüffend! Ich hatte angenommen, dass man sich beim Start in einer Rakete am liebsten die Ohren zuhalten möchte vor Lärm. Reinhold Ewald hat den Raketenstart erlebt: er saß in der Sojus-Rakete, die das gleichnamige Sojus-Raumschiff ins All transportierte. Der Countdown läuft, es geht los:

Die Sojus-Rakete startet ins All, Bild: ESA – S. Corvaja

„Wir hatten beim Start den Helm geschlossen und man hörte das Rauschen des Lebenserhaltungssystems, das im Anzug ventiliert und wir hatten Kopfhörer auf“, berichtet er. „Unter einem grummelt etwas, da ist dann so ein Grollen.“ Gebannt höre ich zu, Umstehende kommen näher, um mitzuhören, worüber Herr Ewald so packend berichtet. „Vielleicht gibt es auch ein metallisches Klacken, wenn die Haltevorrichtung weggeht,“ fährt er fort. „Aber die Tatsache, dass wir ins All gestartet sind habe ich erst durch das Anwachsen der Beschleunigung gemerkt. Wenn man den Arm hochgehoben hat, merkte man das.“ Der Arm und der Rest des Körpers fühlen sich dann nämlich viel schwerer an als auf der Erde. Das hat damit zu tun, dass die Menschen in der Rakete nicht so schnell sind wie die Rakete, sie sind „träge“. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch das Wort für den Physikunterricht merken. Das kennt Ihr vielleicht vom Autofahren, wenn Eure Eltern auf der Autobahn beschleunigen, also schneller fahren: es fühlt sich so an, als würde man in den Sitz gepresst werden. Herr Ewald erzählt weiter vom Raketenstart: „Es tickt noch eine Uhr, ansonsten hat man keinerlei Orientierung, dass es jetzt auch wirklich losgegangen ist ins All.“ Erst wenn die Beschleunigung des Raumfahrzeugs aufhört, fängt man an zu schweben, dann ist man schwerelos.

 „Bloß nichts falsch machen“

„Wie fühlten Sie sich beim Start der Rakete?“ – „Angespannt natürlich,“ sagt er. „Man hat darauf hintrainiert und jetzt will man nichts falsch machen. Bei der Generalprobe ist mir ein Haltegurt aus der Halterung gerutscht. Das war eine Riesenarbeit den da wieder „reinzufummeln“ in der Situation, in der Enge der Kapsel mit dem Raumanzug.“ Er grinst und fügt hinzu: „Also bloß nichts falsch machen! Das ist uns auch gelungen.“

Reinhold Ewald beim Training für die Mission MIR´97, Bild: dpa/DLR

„Sich die Zeit nehmen, um mit dem unbewaffneten Auge zu sehen“

„Wie fühlten Sie sich, als Sie das erste Mal die Erde vom Weltraum aus gesehen haben“, frage ich ihn. „Vor-sich-tig“, betont er das Wort behutsam und schmunzelt. „Die neuen Flieger werden immer gewarnt, dass die Raumkrankheit einsetzt, wenn man die Erde in ungewöhnlichen Positionen sieht: wenn die Erde zum Beispiel über einem ist oder unter einem drunter wegrollt. Das verstärkt dann diese Raumkrankheit.“ Alles ist in Bewegung, wenn man eine Raumstation betritt. „Ich war nie ein Held auf dem Drehstuhl oder bei sonstigen Karussell-Erfahrungen, insofern war ich da sehr vorsichtig,“ erinnert er sich. „Aber mir ist es gut gegangen, wie man darauf reagiert, kann man nicht voraussagen. Das hat mich dann ermutigt die Erde schon gleich während des Fluges von der Sojus-Raumkapsel aus zu betrachten.“

Das Sojus-Raumschiff bringt die Astronauten zur Raumstation, es können drei Astronauten in der Kapsel sitzen. „Ich saß rechts im Raumschiff an einem kleinen Fensterchen und hatte eine Digitalkamera dabei.“ Gedanklich schwebe ich mit den Astronauten in der Raumkapsel und schaue mit ihnen aus dem kleinen, runden Fenster. „Alles was man sieht, möchte man mitnehmen, möchte man zuhause zeigen, findet man wichtig.“ Seine Augen leuchten: „Manchmal muss man sich die Zeit nehmen, um mit dem unbewaffneten Auge zu sehen. Aurora borealis, die Polarlichter, das sind wunderschöne Vorhänge von Licht mit ganz zarten Farben. Da sah ich mich nicht in der Lage das mit der Kamera festzuhalten, das habe ich sozusagen für mich abgespeichert.“ Nicht alle Augenblicke im Leben kann man mit Fotos festhalten, man muss sie einfach erleben.

Polarlichter über der Erde, Bild: ESA/NASA

Macht´s gut und danke für den Fisch!

Das ist der Titel eines Buchs aus der Romanreihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams, in dem ein Mensch zu spannenden Abenteuern ins All aufbricht. Die Ausstattung in den ausgedachten Raumschiffen der Bücher ist zum Teil luxuriös. Ist das in der Wirklichkeit auch so?

Herr Ewald erzählt von seiner zweitägigen Reise zur MIR: „Die Reise dauert zwei Tage. Und das in einer kalten und sehr engen Kapsel – also es war kein Spaß.“ Vor ein paar Jahren hat Herr Ewald mir mal beschrieben, dass das Sojus-Raumschiff nur so groß wie ein Altglascontainer ist. Es passen nur drei Astronauten eingehüllt in ihren Raumanzügen hinein, plus ihrer Ausrüstung.

„Die Ausstattung an Bord ist sehr bescheiden,“ erinnert er sich: „Wir hatten gerade mal lauwarmes Wasser zum Trinken und als dann einer meiner Kollegen auch noch eine Fischbüchse aufmachte zum Frühstück, die uns da mitgegeben worden war, war ich froh, als wir angekommen waren.“ Wir lachen. Ernster fügt er hinzu: „Das ist wirklich kein Touristenschiff, sondern nur Mittel zum Zweck, um anzukommen.“ Für Astronauten gibt es keine Extrawürstchen: „Raumfahrt ist hart,“ sagte er in seinem Vortrag vor dem Interview.

Das Sojus-Raumschiff besteht aus drei Teilen: links im Bild sieht man das rundliche Orbital-Modul, mittig das Lande-Modul mit einem Fenster, in dem die Astronauten beim Start sitzen und das zur Erde zurückkehren wird. Im hinteren Teil des Raumschiffes (rechts im Bild) befindet sich das Instrumenten-Modul mit den Solarpanelen, das von den Astronauten nicht betreten werden kann. Bild: NASA

 „Wir haben in dem Moment alle richtig reagiert“

„Für einen Raumflug müssen alle Astronauten ein jahrelanges Training durchlaufen. Es werden immer wieder Notfallsituationen durchgespielt, damit Raumfahrer im Ernstfall wissen, was in gefährlichen Situationen zu tun ist. Gab es trotz der guten Vorbereitung eine Situation, mit der Sie nicht gerechnet hätten“, frage ich. „Ja eigentlich haben wir durch das Training eben alle Notfallsituationen durchgespielt und darunter auch ein Feuer,“ sagt er. „Das ist natürlich nichts, was man in Betracht zieht, aber wir haben in dem Moment alle richtig reagiert.“

Feuer in einer Raumstation ist äußerst gefährlich. „Ich habe das Feuer als erster gesehen“, erinnert er sich. „Ich habe nicht auf Deutsch oder Englisch „Feuer“ gerufen, sondern „ogon´“, also auf Russisch, und damit meine Kollegen gewarnt.“ Erneut bin ich in Gedanken an Bord mit dabei und schwebe inmitten des Qualms, den das Feuer erzeugt. „Alle haben sofort zum Selbstschutz die Gasmasken aufgesetzt. Ich begab mich in mein Schlafmodul, weil ich wusste, dass da an der Wand eine Gasmaske ist. Ich nahm nicht die erstbeste Gasmaske, weil die für einen anderen Astronauten bestimmt war. So haben wir uns versammelt und versucht mit den Bordmitteln das Feuer zu löschen. Das ist uns nach einigen langen Minuten gelungen.“

Feuerausbruch auf der MIR: die Astronauten tragen Atemschutzmasken, Bild: aus dem Vortrag von Reinhold Ewald / Karsten Kopp

Er erzählt so packend, dass alle Umstehenden für einen Moment ganz still werden: „Dann hatten wir es mit einer völlig vernebelten Atmosphäre zu tun. Daran denkt keiner: auf der Erde macht man das Fenster auf oder geht aus dem Haus raus. An Bord der Raumstation muss man das auch noch in Angriff nehmen. Das haben wir den Rest der Nacht dann versucht.“ Es herrschte für etwa eine Stunde völliger Ausnahmezustand auf der MIR. Laut spreche ich aus, was mir als erstes in den Sinn kommt: „Das war sehr mutig.“ Denn die Astronauten hätten die Raumstation auch verlassen können, es war schließlich eine extreme Notsituation eingetreten. Die Besatzung der MIR hat sich damals entschieden zu bleiben, sie haben dadurch die Raumstation gerettet.

Derartige Szenarien werden auf der Erde im Training dutzendfach geprobt. Je vertrauter man mit einer Gefahren-Situation ist, desto besser kann man damit umgehen – bis jeder Handgriff sitzt. Nur dann ist man in der Lage während Notsituationen einen klaren Kopf zu bewahren und die Situation zu bewältigen.

Danksagung

Im Namen der Volkssternwarte Köln-Sülz bedanken wir uns ganz herzlich bei Prof. Dr. Reinhold Ewald für den hoch interessanten Vortrag und das spannende Gespräch!

Reinhold Ewald und Ulrike Krings Rocha nach dem Interview zu fortgeschrittener Stunde gegen 22:00 im Hörsaal 2 des Physikalischen Instituts der Universität Köln, Bild: Karsten Kopp

Die „Sojus-Kapsel“ zum Selberbauen!

Setzt euch zu dritt so dicht nebeneinander hin wie es geht und zieht die Knie an, so ähnlich sitzen die Astronauten in Wirklichkeit auch in der Kapsel. Türmt neben und über Euch Decken, Kissen, eure Schulsachen, inklusive Rucksäcke und Winterjacken auf – bitte die weichen Sachen nach oben packen, damit sich niemand wehtut. Die „Wände“ eurer Raumkapsel können zum Beispiel große Sofakissen sein, die ihr eng neben euch aufstellt. Ihr könnt auch andere weiche Sachen verwenden, die ihr zuhause findet.

So könnte eure eigene Sojus-Kapsel aussehen! Bild und Idee: Ulrike Krings Rocha

Fertig? Dann könnt Ihr Euch ungefähr vorstellen, wie eng es da drinnen ist! Die Astronauten liegen übrigens beim Start fast in ihren Sitzen, so ähnlich wie beim Zahnarzt. (Wenn ihr das nächste Mal auf dem Zahnarztstuhl liegt, könnt ihr daran denken, dass es fast so ist, als würdet ihr in einer Sojus-Kapsel sitzen – dann ist es vielleicht nicht mehr ganz so schlimm, wenn der Zahnarzt mal bohren muss!)